GARY BERGER 2024. 艾爾·里希特·福爾貝哈爾滕

ctrl_alt_delete

Audiovisuelle Komposition für drei Kanal-Video,
Elektronik und Saxophon (2009)

Gary Berger: Konzept, Komposition, Musik
Optical-Noise: Design, 3-Kanal Video
Sascha Armbruster: Saxophon

 

Wenn sich der Referenzcharakter der Erscheinungen und Töne auflöst, bleiben die frei flottierenden Zeichen, die sich zu immer neuen kaleidoskopartigen Patterns fügen – übrig bleibt, so orakelt Baudrillard, das Ektoplasma, die reine Oberfläche. Noch einmal zuckt der mediale Datenstrom in Ton und Bild auf, bevor auch er in den Schlund des Verschwindens hinein gezogen wird.
 Die kleine, augenzwinkernde Reverenz, die ctrl + alt + delete Jackson Pollocks Drip-Painting erweist, zeigt aber auch einen anderen möglichen Ausgang
auf: Wenn sich der Künstler als aktives Subjekt im Kreationsprozess zurückzieht, kann die derealisierte Welt im Raum der Kunst vielleicht umso deutlicher zu
sich selbst kommen. Eine solche Theorie der Kunst im neuen Zeitalter jedenfalls hat Baudrillard in seinem Essay angedacht. Das könnte der Grund sein,
weshalb ctrl + alt + delete am Ende nicht in die Leere mündet.

Aus dem Booklettext zur DVD «ctrl + alt + delete» von Bettina Spoerri

Simultierte Wirklichkeiten

Rezension zur DVD «ctrl + alt +delete»
Erschienen in der Zeitschrift DISSONANCE #110, Juni 2010, S. 97.

Zu Beginn sieht man einzelne Augen, die einen vom dreigeteilten Bildschirm her anstarren, in unregelmässigen Abständen ein- und ausgeblendet, zunächst schwarz-weiss und dann in Farbe. Dazu erklingt ein tiefes, elektronisches Vibrieren, das zu einem immer dichteren Klanggebilde anwächst und anschliessend Frequenzwechseln und Filterprozessen unterzogen wird. Scheinbar unspektakulär kommt diese DVD daher, indem sie Elemente kombiniert, die man eigentlich zu kennen glaubt. Doch das Zusammenwirken dieser Schichten erzeugt Irritation, weil es unvorhersehbar bleibt und sich gedanklich nicht fassen lässt, sich gewissermassen der Sinngebung durch den hörenden Betrachter oder betrachtenden Hörer entzieht. Mit dem Titel dieser Arbeit, ctrl + alt + delete, ist zunächst einmal ein Tastaturbefehl aus dem Bereich der Softwarenutzung umschrieben, der in vielen Anwendungen das Löschen eines gesamten Wortes links vom Cursor nach sich zieht: ein Akt, der im schlimmsten Falle zur Entstellung einer Textaussage führen kann. Überträgt man diesen Vorgang auf eine metaphorische Ebene, kommt man den Intentionen des Hör-Seh-Stücks näher, denn es geht um das Auslöschen von Referenzen und um die Frage, inwieweit etwas zur Erkenntnis beitragen kann, wenn wir es nur noch in Gestalt von Fragmenten wahrnehmen, deren semantische Zuordnung unsicher bleibt – oder aber umgekehrt: ab wann ein Wahrnehmungsmuster zum Zeichen und damit zum symbolischen Repräsentanten einer realen oder von uns konstruierten Gegebenheit werden kann, wenn es uns nur unvollständig entgegentritt.

Der intermediale Dialog von Ton und Bild, der sich mit dieser essenziellen Frage auseinandersetzt und eine ästhetische Antwort darauf zu formulieren sucht, stammt von Gary Berger (Konzeption und Musik/Komposition), wurde unter Mitwirkung von Optical Noise (Design und Video) und Sascha Armbruster (Saxophon) realisiert und erhält zudem im Booklet einen präzise formulierten Kommentar aus der Feder der Literaturwissenschaftlerin und Kulturjournalistin Bettina Spoerri.

Und was den Beginn des Werkes ausmacht, wird in verstärktem Masse erfahrbar, wenn man dem Verlauf weiter folgt: Da tauchen weisse Felder und irreguläres rhythmisches Pulsieren, graue Schlieren und Einsprengsel instrumentaler Klänge auf – all dies wird ineinander geschoben und zu einer Wahrnehmungseinheit verbunden, in der sich die einzelnen Elemente wiederum gegenseitig behindern, verstärken, auslöschen können … Doch irgendwann ist in diesem ständig auf Veränderung bedachten Panorama der Moment erreicht, in dem sich aus all den Fragmenten neue Sinnzusammenhänge bilden: wenn die Slapsounds des Saxophons in Kongruenz zu den Bildaufbauten treten, wenn ein mikrotonaler Klangaufbau sich zu etablieren beginnt, wenn aus den Bildfragmenten plötzlich symmetrische Bildstrukturen herauswachsen, die sich wiederum in musikalischen Pulsen und Loops zu brechen scheinen. Dann entsteht plötzlich der Eindruck einer simulierten Wirklichkeit, bestehend aus Vervielfältigungen, die zu Strukturen zusammenwachsen, in denen etwas Erinnertes repräsentiert wird, auch wenn dies seltsam verfremdet erscheint.

Es ist faszinierend, was diese hochgradig experimentelle Arbeit uns über unsere Wahrnehmung verraten kann, wenn man sich tatsächlich auf sie einlässt, wenn man die Reaktionen auf das Klang-Bild-Geflecht als Erkenntnisprozess betrachtet, hinter dem sich ein Bild von unserer Konstruktion der Wirklichkeit verbirgt. Mit rund 31 Minuten ist ctrl + alt + delete zwar recht knapp, doch wirkt das Stück dafür letzten Endes umso nachhaltiger: weil es nämlich durchweg mit einem Grad von Subtilität arbeitet, den andere intermediale Klang- Bild-Produktionen oft nicht oder nur unter Mühen erreichen.
Stefan Drees

 

Ausschnitt aus der DVD: ctrl_alt_delete

 

Uraufführung: 4. Dezember 2009, Zürich
Formate: DVD und 3 Kanal-Video für Live-Performance mit Elektronik und Saxophon.
Dauer: 32′

«ctrl_alt_delete» entstand als Auftragswerk der
Zürcher Hochschule der Künste ZHdK.
Label: zhdk records, 20/09

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