GARY BERGER 2024. 艾爾·里希特·福爾貝哈爾滕

존재

Präsenz

 

Es gibt zwei Arten von Präsenz, die leibliche Präsenz der Musiker:innen und die Präsenz im Sinne von Objekten, dagegen spricht man im Zusammenhang von Produkten technischer und elektronischer Medien von Präsenz-Effekten. Es stellt sich die Frage, ob sich die leibliche Präsenz und die damit verbundene Begrifflichkeit im Rahmen einer Ästhetik des Performativen sinnvoll auch auf Objekte unserer Lebenswelt und auf Produkte der technischen und elektronischen Medien anwenden lässt. Wenn ein Musiker nur schon durch seine körperliche Präsenz in seiner Performance in jedem Fall auch eine energetische Präsenz hervorbringt und vom Publikum in seiner Leiblichkeit erfahren wird, ist diese Präsenz untrennbar mit der geistigen verbunden; die eine bedingt die andere. Die Wahrnehmung erfährt also nicht ein „real-körperliches“, sondern vor allem ein „mentales“ Phänomen. Wohl vermögen auch Objekte den Raum zu beherrschen und Aufmerksamkeit einzufordern, können den Anspruch der Präsenz also ebenfalls für sich beanspruchen, was jedoch voraussetzt, dass man ihre Merkmale unabhängig von Prozessen der Verkörperlichung betrachtet. Die Präsenz des Menschen zeichnet sich aus durch einen „embodied mind“, wohingegen Objekte zwar über eine ihnen ureigene, von ihrer alltäglichen Funktionalität losgelöste Ausstrahlung verfügen, die eigentliche Gegenwärtigkeit jedoch dem Menschen aufgrund seiner mentalen Präsenz vorbehalten bleibt. Die Rolle von technischen und elektronischen Medien ist in diesem Zusammenhang speziell zu untersuchen. Die technischen Errungenschaften ermöglichen mehr und mehr, in zum Beispiel Aufnahmen, Transformationen und Projektionen den Schein einer Gegenwärtigkeit zu erzeugen, ohne dass tatsächlich reale Körper oder auch Objekte, reale Stimmen oder Geräusche in Erscheinung treten würden. Je tatsächlicher und gegenwärtiger eine Erscheinung sich präsentiert, desto geglückter empfinden wir deren als authentisch empfundenen Gehalt. Verglichen mit der menschlichen Präsenz kann jedoch in diesem Zusammenhang nur von Präsenz-Effekten gesprochen werden. Spannend ist, dass sich uns die leibliche Präsenz in ihrer Dichotomie von Materie und Geist vor allem in ihrer Materialität präsentiert, wohingegen technische und elektronische Medien, die den Schein einer „leiblichen“ Gegenwärtigkeit hervorzubringen versuchen, vor allem mit entmaterialisierten Präsenz-Effekten in Erscheinung treten. Je besser es gelingt, mittels technischer Medien die Materialität des zu Performenden aufzuheben, zu irrealisieren, desto intensiver stellt sich der Schein der Gegenwärtigkeit, der Schein des Ästhetischen ein.

In meinen kompositorischen Auseinandersetzungen entdeckte ich in den letzten Jahren im Zusammenhang mit elektroakustischer Musik mehr und mehr, dass mir eine reine „Ästhetik des Scheins“ trotz der Erzeugbarkeit einer real erscheinenden Gegenwärtigkeit nicht mehr genügt. Auf der Suche, den durch den Computer erzeugten Präsenz-Effekten eine gewisse Körperlichkeit zurück zu geben, entdeckte ich die Möglichkeiten der Kombination von digitalen und analogen Geräten. Nicht ein nostalgischer Gedanke spornte mich an, mich mit früheren Technologien zu befassen, sondern die Möglichkeit, dem Schein elektroakustisch erzeugter Klänge, wenngleich keine leibliche Präsenz, so zumindest eine gewisse Objekt-Präsenz zurück zu geben. Gerade im kammermusikalischen Kontext zwischen Instrumentalisten und Elektronik erscheint es mir wichtig, der mental-körperlichen Präsenz des Musikers keine reine musikalische Schein-Ästhetik entgegenzusetzen, sondern den elektroakustisch erzeugten Klängen eine gewisse Objekt-Präsenz zu verleihen und sie so zusammen mit den Musikern im Bühneraum erfahrbar zu machen. Die elektroakustische Klangerzeugung wird dadurch aus ihrem vielfach peripheren, abstrakten Entstehungsort, zum Beispiel dem Computerchip des in der Klangregie installierten Laptops, herausgehoben und dank der Objekt-Präsenz von zum Beispiel analogen Geräten realer und nachvollziehbarer erfahrbar zurück auf die Bühne gehoben. Die Klangregie erhält so ihre ursprüngliche Funktion zurück, nämlich die Kontrolle der Diffusion. Eine Annäherung der Wahrnehmungsebenen – zur mental- körperlichen Präsenz des Musikers die Annäherung von einer elektroakustisch erzeugten reinen „Schein-Ästhetik“ zu einer durch die Objekt-Präsenz eines installativen Bühnenkontextes von elektroakustischen Klangmedien erfahrbareren Ästhetik – vermag dem Zuhörer und Zuschauer die musikalische Beziehung zwischen den verschiedenen Klangerzeugungsebenen viel direkter und visuell nachvollziehbarer erfahrbar machen.

In einem meiner Werke verwendete ich zum Beispiel drei obsolete, elektro-mechanische Tonbandmaschinen, welche ich neben dem akustischen Instrument als kaleidoskopische, klangliche Ressourcen verwendet habe. Sie bilden einerseits einen medialen Wechsel zur Instrumentalmusik und stellen andererseits durch die Anordnung in einem Dreieck mit drei sie untereinander verbindenden Bandschlaufen von je sechs Metern einen installativen Bühnenkontext dar. Durch die Verschränkung und Wechselwirkung zwischen dem Instrumentalisten und den Tonbändern entsteht eine eigene “Körperlichkeit” des elektroakustischen Reproduzenten, welche zusätzlich durch die Fragilität des Mediums Band in ihrer realen „Verletzbarkeit“ unterstützt wird. Durch die räumlichen und zeitlichen Dimensionen dieser drei sechs Meter langen Tonbandschlaufen kann sich ein weiteres akustisches Feld ausbreiten. Das Instrument, die Tonbandschlaufen und die Live-Elektronik werden gleichsam Instrumentarium der Komposition, durch welche der Spieler mit anderen Raum-, Zeit- und Klangebenen vernetzt ist. (Dauerwelle für Gitarre und Tonbänder, 2004)

In einer weiteren Komposition beschäftigte ich mich musikalisch mit dem Spannungsfeld zwischen Wiederholung und Reproduktion von bereits Gesungenem, Gespieltem und Aufgenommenem. Der „subjektiven“ Seite einer Wiederholung steht die technische gegenüber. Die Reproduktionsmedien, welche durch originalgetreue Wiederholung die Grenzen von Raum und Zeit überwinden, bedeuten aber gleichzeitig einen Angriff auf die materielle Präsenz des reproduzierten Objekts, da es dieses in eine Schein-Präsenz überführt. Die Sängerin und der Schlagzeuger setzen neben ihren stimmlichen und instrumentalen Möglichkeiten Diktiergeräte ein, welche ihre Authentizität aufbrechen und entfremden. Geräte, die untereinander kommunizieren und als „Speicher“ agieren, welche das bereits Aufgenommene erneut aufnehmen und somit eine gezielte „Verschmutzung“ und Auslöschung von Qualität erzeugen und durch das erneute Ab- und Zuspielen eine zweite Realität bilden. Der Problematik einer reinen Schein-Präsenz wird auf diese Weise entgegengetreten; durch die handelnde Auseinandersetzung der Musiker mit den Diktiergeräten wird diesen eine instrumentale Funktion zugesprochen und die Wiedergabe wird von einer Schein-Präsenz in eine Objekt-Präsenz gehoben. Die elektronische Schicht wird zum integrativen Bestandteil des musikalischen Beziehungskontextes. (tank für Stimme, Schlagzeug und Diktiergeräte, 2005)

Gary Berger

 

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